Stillen und Zahngesundheit
Interview mit Dr. Thomas Bischof, Zahnprophylaxe Vorarlberg
BLÄTTLE: Zahngesundheitserzieherinnen besuchen regelmäßig die Wöchnerinnen in den Vorarlberger Krankenhäusern. Beginnt Zahnprophylaxe wirklich schon vor dem ersten Zahn?
DR. THOMAS BISCHOF: Bereits ab der 6. Schwangerschaftswoche werden die Milchzähne angelegt. Alle 20 Milchzahnkronen sind bei der Geburt zum Teil voll entwickelt und wollen gehegt und gepflegt werden.
BLÄTTLE: Kann Stillen die Zahngesundheit unterstützen?
DR. THOMAS BISCHOF: Beim Stillvorgang findet sozusagen eine „kieferorthopädische Prophylaxe“ statt. Stillen ist für den Säugling „Schwerstarbeit“.
BLÄTTLE: Warum „Schwerstarbeit“?
DR. THOMAS BISCHOF: Stillen ist der von der Natur vorgesehene Weg, Babys zu ernähren. Muttermilch ist optimal zusammengesetzt, um Säuglinge mit allem zu versorgen, was sie in den ersten Lebensmonaten brauchen. Zahnmedizinisch gesehen ist es aber nicht nur das Nahrungsmittel Muttermilch an sich, das so wichtig ist. Hier kommt vor allem auch der Tätigkeit, dem Stillen, dem direkten Trinken an der Brust eine große Bedeutung zu.
BLÄTTLE: Und das ist „Schwerstarbeit“?
DR. THOMAS BISCHOF: Stillen ist ein optimales Trainingsprogramm für die Ausbildung der Kiefer und die Gebissentwicklung. Beim Stillen wird die Mund- und Kiefermuskulatur nicht nur stärker beansprucht als beim Trinken aus der Flasche, der gesamte Bewegungsablauf unterscheidet sich deutlich. Das Baby muss sich seine Nahrung selbst holen und das ist eben „Schwerstarbeit“, während beim Trinken aus der Flasche die Milch mit wesentlich weniger Kraftanstrengung fast von alleine fließt.
BLÄTTLE: „Kiefergerecht“ trifft das vor allem auf die Brust zu?
DR. THOMAS BISCHOF: Die Brust passt sich jederzeit der kindlichen Anatomie an und unterstützt somit das Kieferknochenwachstum und die Ausbildung des kindlichen Kiefers optimal. Nur die Brust und das Stillen können wirklich als „kiefergerecht“ bezeichnet werden. Das Zusammenspiel der einzelnen Muskelgruppen ist beim Stillen so effektiv und physiologisch, wie es bei keiner anderen Fütterungsmethode und keinem Beruhigungssauger erreicht werden kann.
BLÄTTLE: Die Zahnentwicklung beeinflusst auch die Sprachentwicklung der Kinder. Gibt es hier Zusammenhänge zum Stillen?
DR. THOMAS BISCHOF: Stillen trainiert den Lippenschluss, der eine wichtige Voraussetzung für die Sprach- und Kieferentwicklung und die Nasenatmung ist. Das Zusammenspiel der Bewegung von Unterkiefer, Wangenmuskulatur und Zunge begünstigt eine störungsfreie Entwicklung von Ober- und Unterkiefer. Meistens benötigen gestillte Kinder weniger logopädische Therapien und seltener eine Gebissregulierung.
BLÄTTLE: Kritische Stimmen werden immer wieder laut, wenn es um Stillen und Karies geht.
DR. THOMAS BISCHOF: Damit Karies entstehen kann, braucht es zunächst einmal Zähne. Der Zahndurchbruch beginnt durchschnittlich im 6. Lebensmonat, die durchschnittliche Stilldauer liegt bei 6 Monaten, daraus ergibt sich, dass nur ein geringer Teil von Kindern mit Zähnen noch gestillt wird. Untersuchungen haben ergeben, dass bei diesen langzeitgestillten Kindern nicht häufiger Karies auftritt als bei nicht gestillten Kindern.
BLÄTTLE: Ein gewisses Kariesrisiko ist aber trotzdem vorhanden. Kann man dagegen vorbeugen?
DR. THOMAS BISCHOF: Selbstverständlich ist für gestillte, wie auch nicht gestillte Kinder eine gute Zahnpflege ab dem ersten Zahn notwendig. Die Zahnprophylaxe Vorarlberg verteilt zusammen mit den Kinderärzten an alle Kinder, die in diesem Lebensabschnitt an einer Untersuchung beim Kinderarzt teilnehmen, eine Zahnbürste, eine fluoridhaltige Zahnpasta und eine Infobroschüre.
BLÄTTLE: Auch Stillkinder werden einmal auf Festkost umgestellt. Was ist dann zu beachten?
DR. THOMAS BISCHOF: Genau wie bei nicht gestillten Kindern gilt es auf eine gesunde, ausgewogene, möglichst zuckerfreie Ernährung zu achten. Besonders bei Getränken sollte auf Zucker verzichtet werden. Wasser und ungesüßter Tee löschen den Durst und schonen die Zähne, besonders wenn sie aus dem Glas und nicht aus dem Fläschchen getrunken werden.
BLÄTTLE: Stillen und Zahngesundheit – Zwei, die sich ergänzen?
DR. THOMAS BISCHOF: Auf jeden Fall. Zahnmedizinisch ist das Stillen der Ernährung mit der Flasche vorzuziehen. Wenn sich Mutter und Kind dabei wohlfühlen und mit dem ersten Zahn auch die entsprechende Zahnpflege beginnt, bietet Stillen bestimmt einen guten Start in ein (zahn)gesundes Leben.